Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 123000922


123000922
Ernst Ludwig Kirchner
Ins Meer Schreitender (Hans Gewecke), 1913.
Farblithografie
Schätzpreis: € 100.000 - 150.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Ins Meer Schreitender (Hans Gewecke). 1913.
Farblithografie.
Im Unterrand von fremder Hand mit der Werkverzeichnisangabe "Sch I 241" bezeichnet sowie verso mit dem Nachlassstempel des Kunstmuseums Basel (Lugt 1570 b) und der handschriftlichen Registriernummer "L 241". Eines von bisher 6 bekannten Exemplaren. Auf glattem Velin. 59,5 x 51 cm (23,4 x 20 in). Papier: 65 x 53 cm (25,5 x 20,8 in.).
Farbiger Handdruck des Künstlers vom selben Stein in vier Arbeitsgängen in Schwarz, Rotviolett, Blau und Gelb abgezogen. Als Modell für die vorliegende Darstellung diente Kirchner Hans Gewecke, einer von Kirchners Schülern am MUIM-Institut, der mit Werner Gothein, einem weiteren Schüler, gemeinsam mit Kirchner und Erna 1913 von Berlin nach Fehmarn gereist ist. [JS].

• Druckgrafische Rarität aus Kirchners Berlin-Zeit, der Hochphase des Expressionismus.
• 1913 ist Kirchner auf dem Höhepunkt seines Schaffens: Im selben Jahr entstehen in ebenso energischem Strich seine berühmten Gemälde "Potsdamer Platz" und "Berliner Straßenszene".
• Die Sommermonate verbringt er mit Freunden auf Fehmarn, dem für ihn inspirierenden und kreativen Ort der Ruhe.
• Eine der äußerst seltenen farbigen Druckgrafiken Kirchners im großen Format.
• Sehr selten. Bisher wurde erst ein weiterer der sechs bekannten Handabzüge auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten (Quelle: artprice.com).
• Zwei Handabzüge befinden sich heute in Museumsbesitz: Städel Museum, Frankfurt a. Main, und Brücke-Museum Berlin.
• Seit 70 Jahren Teil einer deutschen Privatsammlung
.

Wir danken Herrn Prof. Dr. Günther Gercken für die wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Aus dem Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946, verso mit dem Nachlassstempel).
Stuttgarter Kunstkabinett (um 1958)
Klipstein und Kornfeld, Auktion 110, Moderne Kunst, Bern 1963.
Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione/Italia (1964).
Privatsammlung Deutschland (1964 vom Vorgenannten erworben).
Seither in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Ernst Ludwig Kirchner, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1956, Kat.-Nr. 80.
Brücke. Eine Künstlergemeinschaft des Expressionismus, Museum Folkwang, Essen 12.10.-14.12.1958, Kat.-Nr.134 (o. Abb.).
Meisterwerke des deutschen Expressionismus, Kunsthalle Bremen 20.3.-1.5.1960, Kunstverein Hannover 15.5.-26.6.1960, Wallraff-Richartz-Museum, Köln, 18.9.-20.11.1960, Kat.-Nr. 95 (o. Abb.).

LITERATUR: Günther Gercken, Ernst Ludwig Kirchner. Kritisches Werkverzeichnis der Druckgraphik, Bd. 3. (1912-1916), Bern 2015, WVZ-Nr. 625 (m. Abb.).
Gustav Schiefler, Die Graphik Ernst Ludwig Kirchners, Bd. 1 (bis 1916), Berlin-Charlottenburg 1926, WVZ-Nr. L 241.
Annemarie u. Wolf-Dieter Dube, E. L. Kirchner. Das graphische Werk, München 1967, WVZ-Nr. L 231
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Klipstein und Kornfeld, Auktion 110, Moderne Kunst, Bern 10.5.1963, Los 491 (m. SW-Abb. eines anderen, im Unterrand bezeichneten Exemplares auf Tafel 131).
Ernst Ludwig Kirchner, Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione/Italien, 1964, S. 118 (m. Farbabb. auf dem Umschlagtitel).
Großstadtrausch Naturidyll. Kirchner - Die Berliner Jahre, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, München 2017, S. 164 (m. Abb. anderes Exemplar).

Kirchners seltene farbige Lithografie "Ins Meer Schreitender" ist in Kirchners Berliner Jahren in der Hochphase des deutschen Expressionismus entstanden und zählt neben den in der Schweiz entstandenen "Wettertannen" (1918) und der mystischen "Wintermondnacht" (1919) zu Kirchners bedeutendsten druckgrafischen Arbeiten. In den Berliner Jahren ist es aber noch nicht der menschenleere Landschaftseindruck, den Kirchner in wenigen Handabzügen zu Papier bringt, sondern er ist fasziniert von der menschlichen Figur im Raum, eine Motivik, der sich Kirchner 1913 sowohl in der lebendigen Metropole Berlin in seinen berühmten Gemälden mit Berliner Straßenszenen widmet als auch in den Arbeiten, die während seines gemeinsamen Sommeraufenhaltes mit Erna und seinen Schülern Hans Gewecke und Werner Gothein auf der Ostseeinsel Fehmarn entstehen. In Farbgebung und Komposition zeugt "Ins Meer Schreitender" von Kirchners künstlerischer Reife, zugleich aber auch von seiner außerordentlichen zeichnerischen und druckgrafischen Meisterschaft. Basierend auf zeichnerischen Fehmarn-Studien hat Kirchner den vorliegenden, großformatigen Handabzug in seinem Berliner Atelier in vier aufeinander folgenden Arbeitsgängen umgesetzt, da jede Farbe einen einzelnen Arbeitsgang benötigt. In einer mystischen Stimmung vor golden glühender Sonne setzt Kirchner den männlichen Akt in starkem Gegenlicht geradezu scherenschnittartig in einem sehr dunklen Violett in die Landschaft. In einer extremen Streckung hat Kirchner den ins Meer schreitenden Akt zwischen Erde und Gestirn gespannt und seinen Körper mit dem stark abstrahierten, halbrunden Küstenverlauf umfangen. Wie beim gemeinsamen Zeichnen der "Brücke"-Künstler an den Moritzburger Seen in der Frühphase der expressionistischen Künstlergemeindschaft findet sich auch in Kirchners im Jahr der Auflösung der "Brücke" entstandenen "Ins Meer Schreitenden" diese für die Kunst des Expressionismus so zentrale Begeisterung für jene tief empfundene Einheit von Mensch und Natur. "Ins Meer Schreitender" verbindet diese motivische Begeisterung für das Ungezwungene und Unmittelbare der Dresdener Jahre mit Kirchners nervös-energischem Strich der Berliner Zeit und einer emotional aufgeladenen, mystisch-entgrenzten Landschaftserfahrung, wie sie erst für Kirchners Schweizer Jahre charakteristisch werden sollte. [JS]



123000922
Ernst Ludwig Kirchner
Ins Meer Schreitender (Hans Gewecke), 1913.
Farblithografie
Schätzpreis: € 100.000 - 150.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.